AL12CR35

AS (2012) CR 35

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2012

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(4. Teil)

BERICHT

35. SITZUNG

Donnerstag, 4. Oktober 2012, 15.30 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 13010)

Danke sehr, Frau Präsidentin!

Auch ich möchte der Berichterstatterin ein Kompliment dafür aussprechen, mit welcher Leidenschaft und Inbrunst sie uns heute eine Debatte ermöglicht, die an Grundsätzliches heranführt.

Am Anfang jeder Schuldiskussion steht immer das Kind, das neugierig ist und eine Erfahrung machen will. Es muss die gleichen Chancen haben wie alle anderen.

Der Staat ist verpflichtet, diesem neugierigen Kind unabhängig von seiner Religion, seiner Herkunft, dem Vermögen seiner Eltern, egal, ob es in der Stadt oder auf dem Land aufgewachsen ist, aus einer Minderheit oder einer Migrationsgruppe kommt, die gleichen Chancen zu bieten. Das ist das Allerwichtigste.

Dazu kommt, dass die Eltern spezielle Interessen an unterschiedlichen philosophischen und pädagogischen Modellen haben. Es müssen nicht immer religiöse Schulen sein; manche Eltern wollen, dass ihre Kinder nach modernen pädagogischen Grundsätzen unterrichtet werden, wie z.B. in Montessori- oder Waldorf- Schulen. In meinem Land gibt es beispielsweise feministische Gymnasien, für die sich viele Mütter für die Erziehung ihrer Töchter entscheiden. Daneben gibt es alternative Modelle von Eltern-Lehrer-Schüler-Schulen. Für notorische Schulabbrecher gibt es eine österreichische Spezialschule, die sich in Soweto, in Johannesburg befindet.

Die große Herausforderung besteht darin, in diesem Schulsystem zugleich Chancengleichheit und Vielfalt zu wahren. In Deutschland und Österreich sind die religiösen Schulen alle durch das Konkordat abgesichert. Laut Verfassung gilt dies nicht nur für katholische Schulen; alle Religionsschulen bekommen dieselbe Förderung. Wir dürfen kein System haben wie in den USA, wo es private Eliteschulen gibt und das öffentliche Schulsystem für den Rest der Bevölkerung ist.

Wir in Europa müssen versuchen, gute öffentliche Schulen zu haben, möglichst durchgehend bilingual im Sinne des Europarates, und zusätzliche Schulen für Minoritäten anbieten (in Österreich beispielsweise slowenisch- oder tschechischsprachige Schulen). All das gehört auch zu der Grundfinanzierung des Staates.

Eine weitere Herausforderung ist es, Kindern, die in der Migration geboren sind, die Erlernung der Muttersprache zu ermöglichen. Hier werden vielen Kindern Chancen vorenthalten. Unser größtes Ziel ist die Chancengleichheit für jedes Kind.

Vilmos SZABÓ, Ungarn, SOC

(Debatte zum Zeitgeschehen: die Safarov-Affäre)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Die Straftat, die der heutigen Debatte zugrunde liegt, geschah 2004 in Budapest: die Ermordung eines Armeniers durch einen Aserbaidschaner. Schon damals war klar, dass es sich nicht nur um ein schweres Verbrechen handelte, denn das grundlegende Motiv für den Mord war die Staatsbürgerschaft des Opfers. Auch war bekannt, dass die Tat in Aserbaidschan nicht als Straftat betrachtet wurde, und dass Armenien die Todesstrafe hat.

Die damalige sozialliberale Regierung Ungarns nahm die Angelegenheit auf und verhandelte sowohl mit den Vertretern der aserbaidschanischen, als auch der armenischen Regierung. Die Gespräche endeten mit einer von allen Seiten akzeptierten politischen Kompromisslösung: Der Mörder wurde in Ungarn vor Gericht gestellt und sollte die verhängte Strafe, lebenslänglicher Freiheitsentzug, in Ungarn abbüßen.

2012 nahm die gegenwärtige ungarische Regierung den Fall erneut auf und lieferte Ramil Safarov nach Aserbaidschan aus, wo er sofort vom aserbaidschanischen Präsidenten begnadigt und als Nationalheld bejubelt wurde.

Damit ging die ungarische Regierung grundlegend anders mit dem Fall um als die Regierung von 2004. Anstatt zu dritt, wurde nur noch zu zweit verhandelt, vor der Auslieferung wurde die armenische Seite weder kontaktiert noch informiert, und nach dem Standpunkt des Europarats fragte man auch nicht. Zudem bemühte sich die ungarische Regierung nicht in ausreichendem Maße um Garantien seitens Aserbaidschans, dass Safarov den Rest seiner Strafe würde absitzen müssen.

Auf unsere Frage, warum all das geschehen ist, haben wir bisher keine richtige Antwort bekommen. Wie man hört, soll die bilaterale Vereinbarung über die Auslieferung des Häftlings und dessen Begnadigung durch den Präsidenten dem Völkerrecht entsprechen. Dass dies dem Buchstaben des Völkerrechts entspricht, mag sein, aber sicher nicht seinem Geist.

Die ungarischen Sozialdemokraten, die demokratische Opposition, sind nicht einverstanden mit dieser Regierungsentscheidung und Safarovs Begnadigung, die wir für unverantwortlich halten. Wir befürworten weiterhin gute Beziehungen zwischen Ungarn und Aserbaidschan, haben aber zugleich anstelle der ungarischen Regierung das armenische Volk wegen dieses Vorfalls um Verzeihung gebeten.

Unsere Aufgabe hier im Europarat ist es, weiterhin zu prüfen, ob die internationalen Bestimmungen über die Auslieferung von Häftlingen tatsächlich in den Fällen greifen, wo das Motiv einer Straftat die nationale, religiöse, politische Zugehörigkeit oder die Hautfarbe des Opfers ist. Ich glaube nicht, dass das der Fall ist.

Wir bereiten dazu einen Vorschlag vor, den ich Sie bitte, möglichst zahlreich zu unterstützen.

Dankeschön.