AL13CR22

AS (2013) CR 22

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2013

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(3. Teil)

BERICHT

22. SITZUNG

Dienstag, 25. Juni 2013, 15.30 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 13229)

 

Vielen Dank Herr Präsident,

meine Damen und Herren!

Als allererstes möchte ich Frau Kerstin Lundgren für den exzellenten Bericht und ihre Arbeit danken.

Ich spreche hier im Namen der Linksfraktion, aber auch als einer der Erstunterzeichner des Antrags vom Januar 2011, in dem wir den Monitoring-Ausschuss aufforderten, ein Monitoring-Verfahren gegen Ungarn zu prüfen.

Wir haben uns im Monitoring-Ausschuss zweieinhalb Jahre lang mit Ungarn beschäftigt und dabei viele Stellungnahmen der Venedig-Kommission abgewartet. Die letzte der elf Stellungnahmen der Venedig-Kommission ist eine gute Woche alt und bezieht sich auf das vierte Verfassungsänderungsgesetz in Ungarn.

Alle Stellungnahmen der Venedig-Kommission waren ausgesprochen kritisch. Der Kern der Kritik ist die Sorge um den Verlust von „Checks and Balances“ – der Balance zwischen Legislative und etwa dem Verfassungsgericht.

Hierzu ein Beispiel: Im November 2012 wurde in Ungarn ein Gesetz erlassen, das Obdachlosigkeit kriminalisiert. Obdachlose, die zweimal auf der Straße aufgegriffen wurden, können ins Gefängnis kommen oder müssen 500 Euro Strafe zahlen, was in Ungarn viel Geld ist.

Dieses Gesetz wurde vom ungarischen Verfassungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, es verletze die Würde der Obdachlosen. Daraufhin wurde eine Verfassungsänderung vorgenommen und das Gesetz, das schon an sich problematisch ist, mit der nötigen Zweidrittelmehrheit in die Verfassung hineingeschrieben – ein Missbrauch der Situation, der auch von der Venedig-Kommission als solcher festgestellt wird.

Es wurden einige Gegenargumente aufgeführt, auf die ich eingehen möchte. Es wurde darauf hingewiesen, dass in manchen Ländern, in denen es Folter und politische Gefangene gibt, die Situation noch problematischer ist. Das ist richtig, kann aber nicht unser Maßstab sein. Wir können uns nicht am niedrigsten Standard messen, sondern müssen uns an dem höchsten Standard von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit orientieren.

Auch wurde gesagt, man wolle die ungarische Regierung nicht bestrafen. Doch das Monitoring-Verfahren ist das geeignete, von uns selbst geschaffene Instrument, um eine solche Situation, wie sie jetzt in Ungarn vorliegt, in ein geordnetes Verfahren zu überführen. Es ist keine Bestrafung, sondern eine Hilfe.

Und letztendlich ist es auch eine Frage der Selbstbehauptung unseres Parlaments und unserer Maßstäbe, ob wir dafür oder dagegen stimmen. Wenn dieses Parlament nicht dafür stimmt, wird man uns auch sehr viel weniger ernst nehmen.

Auf der Ebene der Europäischen Union werden gegenwärtig ebenfalls Versuche und neue Vorstöße gemacht, mit dieser Situation umzugehen. Wenn wir hier nicht zustimmen, glaube ich, dass dieses Parlament in Zukunft weniger Gehör haben wird – auch das ist ein wichtiges Argument.

Bitte stimmen Sie zu, sowohl im Interesse der Zukunft Ungarns als auch dem dieser Versammlung.

Vielen Dank.

Viola von CRAMON-TAUBADEL, Deutschland, SOC

(Dok. 13229)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Eröffnung des Monitoring-Verfahrens betrifft aus meiner Sicht ganz unterschiedliche Ebenen, die es heute zu betrachten gilt. Zunächst möchte ich kurz auf die inhaltlichen Aspekte eingehen.

Die Venedig-Kommission hat am 17. Juni ihren 4. Bericht zur ungarischen Verfassungsnovelle vorgelegt. In diesem wird insbesondere kritisiert, wie in Ungarn in großem Stile nun gesetzliche Vorgaben verfassungsrechtlich verankert würden, die zuvor vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig verworfen wurden. Dazu 2 Beispiele:

- Welchen Sinn hat es aus verfassungsrechtlicher Sicht, den Kommunen die Möglichkeit zu geben, Obdachlose zu verhaften oder zu Geldstrafen zu verurteilen?

- Warum müssen Studenten sich - entgegen allen Mobilitätsbestrebungen auf EU-Ebene - für ein Stipendium verpflichten, anschließend in ihrem Heimatland zu arbeiten? Was hat eine solche Verpflichtung in der ungarischen Verfassung zu suchen?

Hier wird die Verfassung offensichtlich für parteipolitische Interessen missbraucht. Das muss von der Venedig-Kommission kritisiert werden.

Weiterhin sind die hohe Anzahl der verabschiedeten Gesetze und Verfassungsänderungen und die Geschwindigkeit, mit der dies geschieht, kritisch zu betrachten. Mit über 500 Gesetzesänderungen in knapp 3 Jahren entwickelte sich das Parlament zu einer reinen Gesetzgebungsmaschine.

Aber wenn selbst die Venedig-Kommission diese Verletzung der Europarats-Standards nicht mehr kritisieren darf, weil das als „politisch motiviert“ gilt, dann können wir meiner Meinung nach dieses Gremium hier bald schließen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen vor allem von der EPP, erklären Sie mir doch bitte, welches Interesse eine anerkannte polnische Verfassungsrechtlerin oder ein finnischer oder belgischer Jurist daran hätte, die ungarische Regierung zu diffamieren? Dieser Vorwurf erscheint mir wirklich als absurd.

Wir haben verschiedene Instrumente, insbesondere die „Kommission für Demokratie durch Recht“, geschaffen, um mit objektiven Experten ein Bild von der rechtlichen Lage vor Ort zu erhalten. Das infrage zu stellen, bedeutet zugleich, den gesamten Prozess hier im Europarat infrage zu stellen.

Auch sollten wir uns genau anschauen, wie in Zukunft auf der Ebene der EU damit umgegangen wird, wenn wir hier mit dem Problem Ungarn nicht fertig werden. Sollte dieses Ansinnen heute aus politischen Gründen scheitern, wird die EU selbst Instrumentarien entwickeln, um Ungarn wieder auf den Pfad von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zurückzuführen.

Das hieße aber in letzter Konsequenz, dass wir uns, was die EU-Staaten betrifft, aus der Kontrolle für diesen Bereich verabschieden und die Frage der Einhaltung von Standards komplett an die EU abtreten. Ich befürchte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der EPP, Sie werden diesen Schritt noch bereuen.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 13229)

Geehrter Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich möchte zunächst herzlich unserer Berichterstatterin Kerstin Lundgren danken, die eine sehr schwierige Aufgabe mit Bravour gemeistert hat. Zu ihrem sehr sachkundigen Bericht kann ich sie nur beglückwünschen.

Ich bin für die Eröffnung des Monitoring-Verfahrens, weil die Fakten dafür sprechen. Kerstin Lundgren hat es sehr eindrucksvoll zusammengestellt, aber ich möchte noch einmal daran erinnern: Das Europäische Parlament hat sich damit beschäftigt, der LIBE-Ausschuss, die Europäische Kommission, viele Außenminister, aber auch die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, die ich zitieren möchte. Sie sagte: „It perpetuates the problematic position of the President of the National Judicial Office and endangers the constitutional system of checks and balances.“ Damit wird bestätigt, was Kollegin Lundgren gesagt hat: Das System von „Checks and Balances“ wird durcheinander gebracht.

Es liegen die Stellungnahmen der Venedig-Kommission vor, die kein politisches Organ ist, sondern ein Gremium von hochkarätigen Verfassungsrechtlern. Diese haben zu Bedenken gegeben, dass die ungarische Verfassung nun Dinge enthält, die das eigene ungarische Verfassungsgericht zuvor für mit der Verfassung nicht vereinbar erklärte. Auch werden mit Hilfe der Zweidrittelmehrheit Dinge in die Verfassung geschrieben, die man auch mit einem einfachen Gesetz hätte regeln können. Für jede künftige Regierung wird es dadurch schwerer, dies später wieder zu ändern.

Es geht hier nicht darum, dass wir etwas gegen Zweidrittelmehrheiten hätten oder dass wir behaupteten, die Wahlen in Ungarn seien nicht demokratisch verlaufen – das ist nicht der Fall, in Ungarn wurde demokratisch gewählt! Doch auch eine Zweidrittelmehrheit hat eine Verantwortung für die Verfassung und muss mit dieser Verantwortung sehr sorgsam umgehen.

Im Kern geht es darum, dass durch dieses vierte Änderungsgesetz die Befugnisse des Verfassungsgerichts beschnitten werden und das Verfassungsgericht nicht mehr über Inhalte, sondern nur noch über verfahrensrechtliche Dinge entscheiden darf. Wir haben einen von Amnesty International und Human Rights Watch gemeinsam verfassten Brief erhalten, in dem uns dringend nahegelegt wird, das Monitoring zu eröffnen.

Monitoring ist nach unserer Satzung ein sehr wichtiges Instrument und eine Kernaufgabe des Europarates. Es sollte nicht als eine Beleidigung oder Einmischung in innere Angelegenheiten verstanden werden, sondern als Chance.

Deswegen appelliere ich an uns alle, uns heute dieser Verantwortung zu stellen und nicht die Parteipolitik vorgehen zu lassen, sondern im Sinne der Werte dieser Versammlung abzustimmen.

Vielen Dank.

Vilmos SZABÓ, Ungarn, SOC

(Dok. 13229)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Die Mitgliedsstaaten des Europarates engagieren sich für Rechtsstaatlichkeit und die Sicherung der grundlegenden Menschenrechte. Verletzungen dieser Verpflichtung haben Folgen.

In den Wahlen von 2010 erhielt die FIDESZ-Partei eine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament. Diese Macht benutzt sie seit drei Jahren dazu, durch den Erlass von Gesetzen, die eine Zweidrittelmehrheit voraussetzen, Schritt für Schritt die grundlegenden Menschenrechte zu beschneiden und die demokratischen Institutionen abzubauen.

In den Berichten der Venedig-Kommission und des Monitoring-Ausschusses werden die wichtigsten Elemente aufgezählt: Einschränkung des Kompetenzbereichs des Verfassungsgerichts, Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz, Erlassen von rückwirkenden Gesetzen, Abwertung der parlamentarischen Arbeit, Einschränkung der Pressefreiheit, Verabschiedung eines neuen Einparteiengesetzes (in dem z.B. die oppositionelle Sozialistische Partei Ungarns als kriminelle Organisation aufgeführt wird), einseitige Abänderung des Wahlgesetzes, Begrenzung der Religionsfreiheit, des Streikrechts und der Initiative der Volksabstimmung, politische Säuberung in der Staatsverwaltung, Ernennung von linientreuen Mitgliedern der Regierungspartei. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen.

In den letzten drei Jahren ist es in Ungarn zu einer starken antidemokratischen Machtkonzentration gekommen, die dazu benutzt wird, die Herrschaft der Regierungsparteien zu zementieren. Die Rechtsstaatlichkeit, das Prinzip der Checks and Balances, die Tätigkeit der demokratischen Institutionen und die grundlegenden Menschenrechte wurden dabei schwer verletzt. Dafür haben die Ungarn in den demokratischen Wahlen von 2010 keine Vollmacht gegeben!

Der Europarat und seine Institutionen, das Europaparlament, die EU-Kommission und andere Organisationen sprechen bereits seit 2010/11 ihre Besorgnis aus, äußern Kritik und richten Erwartungen an die ungarische Regierung. Diese führte daraufhin einige Änderungen durchgeführt, ohne jedoch das Wesentliche anzugehen.

Im Bericht des Monitoring-Ausschusses, ebenso wie in den Berichten der Venedig-Kommission und dem Tavares-Bericht des Europäischen Parlaments, wird die Lage in Ungarn realistisch dargestellt.

Es geht hier nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Parteifamilien, sondern um eine Diskussion über die Demokratie in Ungarn. Dies ist kein Angriff auf die ungarische Nation, sondern die Bewertung der Aktivität der gegenwärtigen Regierung.

Deshalb unterstützen die ungarischen Sozialisten das Monitoring-Verfahren. Als demokratische Opposition bereitet sich die sozialistische Partei auf den Regierungswechsel und die Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 2014 vor und ist sicher, dass der Monitoring-Ausschuss dies anerkennen und die Fortführung des Verfahrens dann für unnötig ansehen wird.