AL14CR21

AS (2014) CR 21
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2014

________________

(3. Teil)

BERICHT

21. Sitzung

Dienstag, 24. Juni 2014, 10.00 Uhr

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 13532 und 13531)

Dankeschön, Herr Vorsitzender!

Im Namen meiner Fraktion möchte ich den beiden Berichterstattern für ihre Berichte danken, insbesondere Frau Tineke Strik, die seit langer Zeit unsere Aufmerksamkeit auf dieses Problem lenkt und sehr viele Veränderungen bewirkt hat.

Das Mittelmeer, eine Wiege der Menschheit und gemeinsamer Kulturraum, wird immer mehr zu einem Massengrab. Das können wir nicht hinnehmen, auch wenn wesentlich mehr Menschen gerettet wurden, seit von der italienischen Regierung die großartige Operation „Mare Nostrum“ ins Leben gerufen wurde.

Es wurde hier gesagt, es müsse viel geändert werden und das Hauptziel aller Flüchtlingsströme sei Europa. Aber vor allem in Europa muss viel geändert werden! Europa ist noch nicht einmal unter den ersten zehn Flüchtlings-Aufnahmeländern; einzig die Türkei befindet sich unter diesen „top ten“.

Wir haben in Europa einen enormen Bedarf an Immigration. Dem steht eine große Anzahl an Flüchtlingen gegenüber. Wir müssen Europa stärker öffnen und brauchen zugleich eine Art Lastenausgleich, denn manche Länder sind viel stärker betroffen als andere. In Sizilien sind unlängst an einem einzigen Wochenende mehr Flüchtlinge angekommen als im Verlauf des gesamten letzten Jahres, und die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla haben je dreimal mehr Flüchtlinge als Einwohner!

Auch müssen wir mit unsinnigen Formulierungen wie der von den „Frontländern“ aufhören, von denen in Herrn Chopes Bericht die Rede ist - wir stehen den Flüchtlingen nicht an einer Kriegsfront gegenüber!

Außerdem müssen wir die Unterscheidung zwischen irregulären und regulären Flüchtlingen abschaffen. Menschen, die vor Verfolgung, Tod, Klimawandel oder lebensunzulänglichen Bedingungen auf der Flucht sind, kann man nicht in „irregulär“ und „regulär“ einteilen und nach Dublin-Richtlinien hin- und herschicken. Hier muss Europa mit den international gesehen wenigen Flüchtlingen offener und großzügiger umgehen.

M.E. stehen die beiden Berichte daher zueinander im Widerspruch. Meine Fraktion befürwortet ganz entschieden den Bericht von Tineke Strik.

Luise AMTSBERG, Deutschland, SOC

(Dok. 13532 und 13531)

Vielen Dank, Herr Vorsitzender!

Auch ich war in Italien und habe vor Ort viele Einblicke nehmen dürfen: Ich besuchte Aufnahmeeinrichtungen in Rom, war in Mineo in Sizilien, wo ich sehen konnte, dass an einem für 2000 Personen vorgesehenen Ort 4000 Menschen untergebracht waren, und kam mit dem Innenministerium und der italienischen Küstenwache ins Gespräch. Obwohl ich dasselbe Programm hatte wie Herr Chope, komme ich zu anderen Ergebnissen.

Es muss klar herausgestellt und anerkannt werden, dass die ad hoc-Aufnahme von Flüchtlingen, wenn z.B. über Nacht 2000 Menschen ankommen, eine sehr viel größere Herausforderung an ein Land darstellt als eine geregelte Asylaufnahme beispielsweise in Deutschland oder Großbritannien.

Was mir in dieser Debatte ebenfalls missfällt, ist der Umgang mit Zahlen, darüber, wer die meisten Flüchtlinge aufnimmt und am meisten tut. Es ist immer von absoluten Zahlen die Rede, und damit steht mein Land, die Bundesrepublik Deutschland, recht gut da. Doch müssen die Flüchtlingszahlen natürlich auch im Zusammenhang mit der Bevölkerungsstärke und Wirtschaftskraft eines Landes gesehen werden. So betrachtet könnte die Ungleichheit in Europa gegenwärtig größer nicht sein.

Deshalb ein Kommentar an Herrn Stroe: Europa ist nicht das erste Zielland der Flüchtlinge. Die meisten Flüchtlinge auf der Welt halten sich in den Nachbarländern ihrer Heimat auf oder sind als Binnenvertriebene im eigenen Land unterwegs. Im Libanon besteht derzeit ein Viertel der Einwohner aus syrischen Flüchtlingen, und in der Türkei halten sich gegenwärtig 1 Million syrische Flüchtlinge auf. Es kann also nicht die Rede sein von einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge oder von einem so großen Flüchtlingsdruck auf Europa, dass man ihm nicht standhalten könne.

Daher möchte ich Frau Strik für ihren Bericht danken, da er, im Gegensatz zu dem von Herrn Chope, sehr viel Visionäres bietet, nämlich die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie wir das Sterben auf dem Mittelmeer verhindern können.

Mit der Forderung nach legalen Einreisemöglichkeiten wird der Weg dazu geöffnet, dass die Menschen nicht mehr über Schlepperbanden die gefährlichsten Routen nehmen, sondern ihr Anliegen schon im Vorfeld vortragen, eine Karte für die Überfahrt nach Europa kaufen und hier in ein faires Asylverfahren gelangen können. Das muss unser Anspruch sein!

Der Bericht und der Antrag von Herrn Chope halten an den Dublin-Verordnungen fest und verstellen den Weg zu einer solchen Überlegung. Auch fordert Herr Chope z.B. die Externalisierung von Grenzen mit Auffanglagern in Libyen, womit wir auch unsere Menschenrechte exportieren wollen. Doch das gelingt nicht in Staaten, wo es kein Asylsystem gibt. Es kann daher keine Lösung sein.

Die beiden Berichte sind also sehr widersprüchlich und haben unterschiedliche Zielsetzungen.

Ich bitte Sie nachdrücklich, unsere Änderungsanträge zu Herrn Chopes Bericht zu unterstützen.

Edgar MAYER, Österreich, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 13532 und 13531)

Vielen Dank, Herr Vorsitzender!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bedanke mich für die beiden Berichte. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass wir sie trotz ihrer Unterschiede gemeinsam diskutieren können, weil sie ganz tief in die aktuelle Thematik eingehen.

Europa steht nicht nur vor finanziellen und wirtschaftlichen Problemen, sondern auch vor einer humanitären Herausforderung.

Wenn wir die Flüchtlingsströme betrachten, so muss man sich, Frau Amtsberg, auch mit den Zahlen auseinandersetzen, da sie die Realität widerspiegeln. 2013 sind allein nach Italien 42.900 Migranten, darunter 28.000 Asylbewerber, über das Mittelmeer gekommen. Bis zum Monat Mai dieses Jahres wurden 36.600 Flüchtlinge gezählt. Damit haben wir bereits im Mai fast die Anzahl des gesamten Jahres 2013 erreicht und werden also 2014 die Vorjahreszahlen wahrscheinlich verdoppeln. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Dabei könnten die begleitenden Umstände dramatischer gar nicht sein. Niemand weiß wirklich, wie viele Menschen im Mittelmeer ertrunken sind. Deshalb ist die Wortwahl „Massengrab“ durchaus gerechtfertigt.

Ich möchte auch festhalten, dass Italien sich inzwischen intensiv bemüht; die Operation „Mare Nostrum“, mit der Menschen aus Seenot gerettet werden, wurde bereits erwähnt. „Left to die“, die verweigerte Seenotrettung, ist dagegen ein besonders krasses Beispiel, das bei mir ein Umdenken bewirkt hat, auch wenn alle Maßnahmen, die wir jetzt oder in Zukunft treffen, diese Menschen nicht wieder lebendig machen.

Ich unterstütze deswegen beide Entschließungsanträge, die auch gezeigt haben, wie intensiv diese Themen diskutiert werden und wie im Ausschuss für Migration darüber verhandelt wurde. Die Probleme lassen sich damit sicherlich nicht auf Dauer lösen, aber wir bekommen einen humanitären Zugang - ein wichtiger Aspekt.

Das Problem der Migration müssen wir dort lösen, wo es entsteht: in Afrika. Wir müssen den Menschen mit sinnvollen Projekten eine Perspektive im eigenen Land geben; kriegerische Auseinandersetzungen nehme ich einmal explizit davon aus. Ein gutes Beispiel für ein solches Projekt ist die Stiftung des vor wenigen Tagen verstorbenen Karlheinz Böhm, die für Menschen in Äthiopien eine wunderbare Perspektive für das Überleben und Verbleiben im eigenen Land geschaffen hat.

Solche Projekte der „Hilfe zur Selbsthilfe“ sollten wir unterstützen und ermöglichen, um den Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben.

Ich danke Ihnen.

Alfred HEER, Schweiz, ADLE / ALDE

(Dok. 13532 und 13531)

Geschätzter Herr Vorsitzender,

geschätzte Damen und Herren!

Auch ich möchte den Berichterstattern herzlich für den Bericht danken.

Wir sprechen hier über Flüchtlinge und die große Tragödie, die wir v.a. im Mittelmeerraum täglich sehen können. Doch sollten wir uns hier im für Menschrechte und Rechtsstaat zuständigen Europarat auch die Frage stellen, wieso wir mit diesen Flüchtlingsströmen konfrontiert sind. Es wäre m.E. viel besser, wenn diese Flüchtlinge nicht kämen.

Hier haben wir, ebenso wie einige Länder, die im Europarat vertreten sind, eine große Verantwortung, denn was zu diesen Flüchtlingsströmen führt, ist eine verfehlte Politik.

Einen Diktator wie Saddam Hussein im Irak wegzubomben, ist einfach. Schwieriger ist es, etwas Konstruktives aufzubauen, und das ist weder im Irak noch in Afghanistan gelungen. Ebenso in Libyen: Diktator Gaddafi, der vor allem von Großbritannien, aber auch Frankreich und Italien jahrelang hofiert wurde, wurde nach einem militärischen Eingriff Frankreichs gestürzt, aber die Situation hat sich nicht verbessert.

Der Europarat täte gut daran, sich dafür einzusetzen, dass in diesen Ländern so etwas wie ein Rechtsstaat entsteht und die Wohlstandsunterschiede zu Europa verringert werden können. Auch die Religionsführer müssen dort in die Verhandlungen miteinbezogen werden, um einen religiösen Ausgleich zwischen Schiiten, Sunniten, Juden etc. zu finden. Nur so kann sichergestellt werden, dass in Zukunft weniger Flüchtlinge aus diesen Ländern nach Europa kommen.

Europa abzuschotten ist keine Lösung; die Flüchtlinge kommen so oder so. Aber wir müssen die Ursachen dieser Flüchtlingsströme bekämpfen. V.a. die Großmächte dieser Welt müssen sich hier die Frage stellen, ob sie diese Verantwortung wahrnehmen oder nicht.

Herzlichen Dank.

Amendments zu Dok. 13531:

Luise AMTSBERG, Deutschland, SOC

(Dok. 13531, Amendment 10)

Ich möchte noch einmal an Sie appellieren – wir haben einen Zusatzartikel auf den Weg gebracht, über den wir gerne abstimmen möchten, um die Debatte über legale Einwanderungsmöglichkeiten am Laufen zu halten. Dieser Vorschlag hat in dieser Versammlung großen Anklang gefunden und ich möchte Sie dazu aufrufen, dieses Anliegen zu unterstützen.

Wenn dies nicht geschieht, haben wir im Prinzip nichts, was uns in eine Zukunft leitet, in der vielleicht etwas an dem Sterben auf dem Mittelmeer geändert werden könnte. Ich möchte Sie also nachdrücklich bitten, diesem Bericht so nicht die Zweidrittelmehrheit zu erteilen.