AL15CR18      

AS (2015) CR 18
Provisorische Ausgabe

 

SITZUNGSPERIODE 2015

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(2. Teil)

BERICHT

18. Sitzung

Freitag, 24. April 2015, 10.00 Uhr

Katrin WERNER, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 13740)

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wielen Dank an den Berichterstatter, auch im Namen der Europäischen Linken, für den Bericht und Ihre Analyse.

Als behindertenpolitischer Sprecherin meiner Fraktion im Deutschen Bundestag ist mir ein gleichberechtigter Zugang zur Justiz für alle Menschen besonders wichtig.

Art 13 „Zugang zur Justiz“ der UN-Behindertenrechtskonvention beinhaltet, dass die Vertragsstaaten sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Menschen wirksamen Zugang zur Justiz haben. Der barrierefreie Zugang ist dabei für alle Beteiligten, also auch für Zeugen und Zeuginnen, durch verfahrensbezogene und altersgemäße Vorkehrungen, wie zum Beispiel Texte in leichter Sprache oder entsprechende Informationstechnologien bei juristischen Verfahren zu gewähren.

Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde von knapp 160 Staaten und der EU ratifiziert und berifft rund 650 Mio. Menschen. Sie ist geltendes Recht. Trotz verschiedenster Menschenrechtskonventionen ist der Zugang zur Justiz für viele Menschen häufig mit unüberwindbaren Barrieren übersät.

Es mangelt an ausreichender Assistenz bei Gerichtsverfahren, an der Übersetzung von juristischen Texten in leichte Sprache und an Informationen in einfacher Sprache. Es mangelt an barrierefreien Gerichtssälen und Ämtern und an ausreichenden menschenrechtskonformen Gesetzen, welche die voll umfängliche Teilhabe an juristischen Verfahren für alle Menschen sicherstellen.

Aber vor allem mangelt es an effektiver menschenrechtlicher Ausbildung des gesamten juristischen, polizeilichen und des im Gefängnis arbeitenden Personals, um die Rechte von benachteiligten Minderheiten zu schützen.

Menschen, egal ob mit Behinderung oder ohne, haben in allen Bereichen des Lebens die gleichen Rechte. Niemandem darf es aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung oder seiner ökonomischen Lage schlechter gehen, vor allem nicht beim Zugang zum Recht.

Was wir brauchen ist eine Vielfalt an bedarfsgerechten, qualitätsgesicherten Unterstützungsangeboten für Menschen beim Zugang zur Justiz. Wir brauchen gezielte Maßnahmen, um sowohl die physische als auch informelle Zugänglichkeit zur Justiz für alle Menschen zu sichern. Wir brauchen einen niedrigschwelligen Zugang zur Prozesskostenhilfe für Menschen, die in Armut leben.

Besonders Menschen, die z.B. in Deutschland unter gesetzlicher Betreuung stehen, darf der eigene Wille durch eine ersetzende Entscheidungsbildung nicht genommen werden. Die ersetzende Entscheidung ist hierbei durch eine unterstützende zu ersetzen. Hierzu sind entsprechende Trainings und niedrigschwellige Beratungsformen einzuführen.

Wir brauchen eine Unterstützung der betroffenen Person durch einen oder mehrere frei gewählte Assistenten und nicht einen richterlichen Beschluss, der das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen beschneidet. Hierzu sind neu zu entwickelnde Qualitätskriterien bei der Unterstützung zur rechtlichen Handlungsfähigkeit unabdingbar.

Erst wenn ein gleichberechtigter Zugang zur Justiz für alle Menschen keine menschenrechtliche Vision mehr ist, und wenn „Recht zu haben“ auch „Recht zu bekommen“ bedeutet, werden wir einer inklusiven Gesellschaft ein großes Stück näher sein.

Danke.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

(Dok. 13719)

Danke, Frau Präsidentin!

Herr Pozzo di Borgo, im Namen der Sozialdemokraten möchte ich Ihnen für diesen Bericht danken.

Sie stellen ja richtig fest, dass die 5 bzw. 4 Konferenzen eine Reform in Gang gesetzt haben, welche die Effizienz des Gerichtshofes eindeutig erhöht hat. Sie zeigen, dass jetzt der Ball wieder im Feld gewisser Nationalstaaten liegt, ihre Hausaufgaben besser zu machen.

Wir müssen diese Gelegenheit nutzen, um auf zwei Dinge hinzuweisen, welche die Effizienz des Gerichtshofes ebenso in Frage stellen. Vor allem der erste Punkt wurde noch nicht genannt: Effizienz ist ja darum so wichtig, weil Menschen, wenn sie 5 oder 10 Jahre lang warten müssen, bis ihnen recht geschieht, den Gerichtshof und das System zum Schutz der Menschenrechte an sich in Frage stellen werden.

Heute stellen wir fest, dass als Folge des neuen, in ganz Europa zunehmenden Nationalismus in zwei der sogenannten „alten“ demokratischen Länder, nämlich Großbritannien und der Schweiz, der Gerichtshof in Frage gestellt wird. Man stellt dort das Prinzip in Frage, dass über den Staaten überhaupt eine Instanz herrschen dürfe, die das letzte Wort hat.

In der Schweiz wird eine Initiative für eine Volksabstimmung lanciert, um über die Frage zu entscheiden, ob das nationale Recht wieder die letzte Instanz sein soll. Damit wird die aus der Katastrophe des 20. Jahrhunderts gezogene Lehre in Frage gestellt, dass auch Mehrheiten, Regierungen und Parlamente immer Fehler machen können, und deshalb der Menschenrechtsschutz nicht in die Hände der Staaten gelegt werden kann.

Auch in Großbritannien gibt es Zweifel an diesem Prinzip. Daher sollten wir hier vielleicht auch darüber nachdenken, weshalb dies heute möglich ist und wie man es überwinden kann. Es ist wahrscheinlich nicht untypisch, dass beide genannten Länder Inselstaaten sind – das eine eine richtige geographische Insel, das andere eine Insel eher von der geschichtlichen Entwicklung her.

Die Abschaffung des Prinzips einer den Ländern übergeordneten Menschenrechtsinstanz wäre eine Katastrophe. Ich bin überzeugt, dass auch andere Länder von dieser falschen Idee angesteckt werden könnten, falls sie in Großbritannien und der Schweiz durchgesetzt wird.

Den zweiten, m.E. sehr wichtigen Punkt erwähnen Sie in Ihrem Addendum: die Tatsache, dass der EU-Gerichtshof in Luxemburg der Kommission empfohlen hat, ihn nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention zu unterstellen. Auch darüber müssen wir nachdenken, weshalb es dazu gekommen ist.

Ich glaube nicht, dass der Grund dafür nur irgendwelche Prestigeprobleme sind, sondern die Tatsache, dass der Luxemburger Gerichtshof in der EU heute eine unangemessene Dominanz hat. In der EU sind die Mächte nicht ausbalanciert; der Gerichthof hat kein Gegengewicht im Ministerrat oder dem Parlament, und er setzt heute den ökonomischen, diskriminationsfreien Verkehr des Kapitals über alles.

Es könnte durchaus sein, dass diese Absolutheit eines ökonomischen Prinzips der Grund ist, warum der Luxemburger Gerichtshof sich keinem anderen Gerichtshof unterstellen kann, wo eben dieses Grundprinzip durch die Menschenrechte in Frage gestellt werden könnte. Wenn das aber so wäre, wäre das eine Katastrophe für die europäische Institution. Da müsste man die Kraft aufbringen, dem Luxemburger Gerichtshof viel deutlicher klarzumachen, dass dies inakzeptabel wäre.

Ich frage mich auch, was Sie davon halten und ob wir dazu nicht einen neuen Bericht verfassen müssen.