AL16CR14

AS (2016) CR 14
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2016

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(2. Teil)

BERICHT

14. Sitzung

Mittwoch, 20. April 2016, 10.00 Uhr

Ria OOMEN-RUIJTEN, Sitzungsvorsitzende, an Axel SCHÄFER
(Dok. 14008)

Ich gebe jetzt das Wort an Axel Schäfer, Socialist Group, Germany.

Axel SCHÄFER, Deutschland, SOC
(Dok. 14008)

Frau Präsidentin, liebe Ria!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist für mich heute eine besondere Ehre, hier reden zu dürfen.

Im Jahr 1994 konnte ich als Mitglied des Europäischen Parlaments hier zu einem anderen Thema, nämlich dem europäischen Wahlrecht, meine erste Rede halten. Ria Oomen-Ruijten und einige andere waren zu dieser Zeit auch Mitglieder des Europäischen Parlaments.

So sieht man sich wieder! Wir sind auf demselben Weg geblieben, auch wenn wir aus unterschiedlichen Fraktionen und Ländern kommen. Darüber hinaus sind wir gleichaltrig. Vielleicht kann man an uns beiden einmal deutlich machen, wie die Entwicklung Europas von 15 auf heute 28 Staaten und die des Europarates in dieser Zeit gelaufen ist.

Wir führen heute eine wahrhaft historische Debatte, weil es um nichts weniger als um die Frage geht, wie wir uns unabhängig von unserer Parteizugehörigkeit, Herkunft und Überzeugung gemeinsam gegen Antisemitismus einsetzen.

Bringen wir das Thema auf den Punkt: Der Nationalismus, den es in vielen europäischen Ländern gibt, ist der letzte Irrsinn der Moderne, der Antisemitismus aber ist das Allerletzte!

Es wird für uns darauf ankommen, mit unterschiedlichen Begründungen und unterschiedlichen Überzeugungen zu wissen, welche Werte wir gemeinsam verteidigen und mit welcher Haltung und welcher gemeinsamen Überzeugung wir das tun, denn wir wissen, dass nach dem bösen Wort die böse Tat folgt.

Das sage ich als Nachgeborener aus einem Land, wo im Namen der Deutschen im Dritten Reich der größte Zivilisationsbruch, das schlimmste Menschheitsverbrechen stattgefunden hat. Das ist für uns als Deutsche eine besondere Verpflichtung! Für mich als Sozialdemokrat, dessen Partei über 150 Jahre auch von vielen jüdischen Bürgern mitgeprägt wurde, ist es auch eine ganz persönliche Verpflichtung.

Wir werden heute wahrscheinlich eine sehr bedeutende Rede von einem Staatsoberhaupt hören, das wie wenige andere dieses gemeinsame, demokratische und antinationalistische Europa repräsentiert: Heinz Fischer.

Ich möchte meine Rede mit einem Zitat eines anderen Staatsoberhauptes, des leider verstorbenen, unvergessenen Johannes Rau beenden, der besondere Beziehungen zu Israel hatte. In seiner Parlamentsrede sagte er: „Jede Form von Rassismus und jede Form von Antisemitismus bekämpfen und die Täter von Gewalttaten bestrafen: Das müssen wir mit der ganzen Strenge des Gesetzes tun, um des friedlichen Zusammenlebens in unseren Gesellschaften willen. Wir wissen doch: Jeder Angriff auf Minderheiten ist immer auch ein Angriff auf unsere ganze Gesellschaft, die auf Toleranz, Pluralismus und Recht gegründet ist.“

Vielen Dank.

Ria OOMEN-RUIJTEN, Sitzungsvorsitzende, an Axel SCHÄFER
(Dok. 14008)

Vielen Dank. Herr Schäfer, es ist ein Vergnügen, Ihnen wieder zuzuhören.

Ria OOMEN-RUIJTEN, Sitzungsvorsitzende, an Thomas FEIST
(Dok. 14008)

Ich gebe das Wort an Thomas FEIST, EVP-Gruppe.

Thomas FEIST, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC
(Dok. 14008)

Vielen Dank, Frau Vorsitzende!

Ich möchte mich beim Berichterstatter, Herrn Cilevičs, für diesen Bericht herzlich bedanken. Es ist wichtig, dass wir hier und heute über das Thema Antisemitismus und Strategien zu seiner Bekämpfung diskutieren, denn wie bereits gesagt wurde, ist es nicht hinnehmbar, dass in Europa Mitglieder jüdischer Gemeinden davor Angst haben müssen, sich in bestimmten Vierteln unserer Großstädte als solche zu erkennen zu geben.  

Als Mitglied des Deutschen Bundestages freue ich mich, dass in den Bericht auch die interparlamentarische Konferenz eingeflossen ist, die im März in Berlin abgehalten wurde. Dort bearbeiteten 100 Parlamentarier aus 40 Ländern dieses Thema. Nun müssen wir überlegen, wie die Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, auch in die nationale Gesetzgebung einfließen können.

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, hat deutlich gemacht, dass wir von denjenigen, die nach Europa kommen und hier Schutz und Hilfe erwarten, auch etwas erwarten müssen.

Ein ganz wichtiger Baustein der Integration von Flüchtlingen in Europa besteht in der Anerkennung unserer Werte und Normen. Zu diesen gehört, dass wir Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus stark bekämpfen. Wir können erwarten, dass Flüchtlinge ein verpflichtendes Bekenntnis dazu ablegen, dass Antisemitismus nicht akzeptiert werden kann.

Der Bericht hat auch gezeigt, dass wir auch in unserer nationalen Verantwortung etwas tun können: Wir können solchen Institutionen und Organisationen den Zugang zu öffentlichen Mitteln kappen, die antisemitische Parolen verbreiten. Dazu gehört auch, dass wir in unseren Mitgliedsländern darauf achten, dass dort, wo eine Leugnung des Holocausts oder Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israel-Kritik daherkommt, dies schonungslos aufgedeckt und bekämpft wird.

Es ist wichtig, auch etwas für die Bildung zu tun, und zwar nicht nur für die der jungen Menschen in Europa, sondern darüber hinaus. Alle unsere Länder haben Bildungskooperationen, auch mit Ländern in der arabischen Welt. Wenn man sich Schulbücher anschaut, ist dort oftmals die Wurzel von Antisemitismus zu finden. Wir müssen versuchen, auch auf die Inhalte mit Einfluss zu nehmen.

Abschließend noch ein gutes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, Antisemitismus keine Plattform zu bieten: Gestern entzog die Kulturstaatsministerin Monika Grütters einem Verein eine Förderung, dessen eigentlich sehr gute Aufgabe das Theaterspiel mit Flüchtlingen war. Der Verein hatte jedoch 2 Protagonisten, die auf so genannten al-Quds-Tagen für die schiitische Terrororganisation Hisbollah Werbung machten.

Dieses Beispiel zeigt, dass wir etwas tun können - und wir müssen etwas tun.

Ria OOMEN-RUIJTEN, Sitzungsvorsitzende, an Thomas FEIST
(Dok. 14008)

Danke sehr, Herr Feist.

Domagoj HAJDUKOVIĆ, Kroatien, SOC
(Dok. 14008)

Danke, Frau Sitzungsvorsitzende!

Es ist enttäuschen, dass wir uns im 21. Jahrhundert Sorgen über Antisemitismus und Hassreden gegenüber Juden machen müssen. Leider ist es mehr als nötig, Trends, die nicht nur auf Mitgliedsländer des Europarats beschränkt sind, zu beobachten.

Juristische Schritte und Repression können nur ein Teil der Lösung sein, denn sie behandeln nur die Symptome, nicht die Krankheit selbst. Was uns Sorgen bereiten muss, ist das Auftreten von Vorurteilen, Ignoranz und Gewalt zwischen jungen Menschen, die sich Angehörigen von Minderheiten gegenüber aggressiv verhalten.

Gerade wegen der Beteiligung junger Menschen ist es wichtig, nicht nur die Symptome, sondern die Ursachen dieser Phänomene zu bekämpfen und zu „heilen“. Die „Medizin“ dafür ist Bildung. Sie muss dazu beitragen, Unwissen zu beseitigen, das zu Vorurteilen und letztlich zu Gewalt führt.

Deshalb unterstütze ich die vorgeschlagene Resolution, die hervorhebt, dass die Information über die Shoah Bestandteil des Lehrplans in Mittelschulen werden muss. In Zukunft sollten wir verfolgen, wie die Bildungssysteme der Mitgliedsländer auf diese Herausforderung antworten und nötige Maßnahmen durchführen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
Ansprache

Sehr geehrter Herr Präsident der parlamentarischen Versammlung,
sehr geehrter Herr Generalsekretär,
meine hoch geschätzten Damen und Herren Abgeordneten!

Wie gerade gesagt wurde, feiert Österreich in diesen Tagen seine 60-jährige Mitgliedschaft im Europarat.

Ich darf mich zunächst für die noch von Frau Präsidentin Brasseur ausgesprochene Einladung bedanken, aus diesem Anlass den Europarat zu besuchen und in dieser hohen Versammlung das Wort zu ergreifen. Gleichzeitig möchte ich mich auch bei Ihnen, Herr Präsident, für die freundliche Einführung bedanken.

Die zentralen Themen des Europarates, Demokratie, Menschenrechte, Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Verfassungstreue etc., haben mich während meines gesamten politischen Lebens begleitet und beschäftigt.
Dieses politische Leben hat eigentlich vor mehr als 50 Jahren begonnen, als ich im Jahr 1962 im österreichischen Parlament, dem Nationalrat, als Jurist zu arbeiten begann, dann 1971 erstmals selbst als Abgeordneter ins Parlament gewählt wurde, bevor ich dann Anfang der 80er Jahre auch eine Zeit lang diesem Gremium angehört habe.

Der Beitritt Österreichs zum Europarat im April 1956 fiel in eine Zeit, die für Österreich und auch für Europa zahlreiche prägende politische Ereignisse bereithielt. Im Mai 1955 erfolgte die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages, der Österreich die volle Freiheit und Souveränität brachte. Im Oktober 1955 verließen die letzten alliierten Besatzungssoldaten das Territorium der Republik Österreich. Im Dezember 1955 erfolgte die Aufnahme Österreichs in die Vereinten Nationen und im April 1956 der Beitritt zum Europarat.

Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass wenige Monate später, im Herbst 1956, der Schock der Niederschlagung der Ungarischen Revolution zu verzeichnen war, die zu einem großen Strom von Flüchtlingen nach Österreich führte. Ich kann mich heute noch an meine Arbeit als Student im Flüchtlingslager Traiskirchen erinnern, wo wir gern freiwillig bei der Betreuung dieser Flüchtlinge halfen.

Österreich hat sich von Anfang an sehr stark im Europarat engagiert und betrachtet ihn als eine unersetzliche Plattform, auf der neue Formen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf Regierungs- und Parlamentsebene entwickelt wurden und weiterentwickelt werden. Die Menschenrechtskonvention z.B. wurde zu einem maßgeblichen Bestandteil des österreichischen Verfassungsrechts und zahlreiche wegweisende österreichische Gesetze gehen auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zurück, den ich jetzt gerade vor wenigen Minuten besuchen durfte.

Da ich zuletzt vor zwei Jahren, im April 2014, Gelegenheit hatte, von diesem Pult aus das Wort zu ergreifen und damals auch über wichtige Etappen in der Entwicklung des Europarates gesprochen habe, möchte ich mich jetzt nicht wiederholen, sondern mich gleich einigen wichtigen aktuellen Themen zuwenden.

Zu diesen aktuellen Themen gehört zunächst die erfreuliche Feststellung, dass es dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den letzten Jahren gelungen ist, den erheblichen und unerfreulichen Rückstau an unerledigten Beschwerden deutlich abzubauen.

Dem steht allerdings die Tatsache gegenüber, dass es um die Respektierung demokratischer Standards und um die Garantie der notwendigen Freiräume für eine sich frei und pluralistisch entwickelnde Zivilgesellschaft derzeit nicht überall zum Besten steht. Es gibt sogar Fälle, wo sich der Europarat mit der Gefahr von Rückschritten, wie zum Beispiel der Gefährdung einer funktionierenden Verfassungsgerichtsbarkeit, beschäftigen muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Terror ist grundsätzlich nichts Neues in der Geschichte, aber man konnte in Europa in den relativ ruhigen Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg den Eindruck haben, dass Terror und Terrorismus weitgehend überwunden seien.

Das begann sich in den 70er Jahren zu ändern, als einzelne Terrorakte und Flugzeugentführungen das Ziel hatten, mehr Aufmerksamkeit für den Kampf radikaler Palästinensergruppen zu schaffen.
In Deutschland und anderen europäischen Staaten wurde von kleinen, zu allem entschlossenen radikalen Gruppen versucht, durch Terror und Entführungen den Staat zu erpressen.

Ich glaube, dass diese Phasen im Wesentlichen überwunden sind. Das Neue am aktuellen Terror, den man nicht dem Islam als solchem oder pauschal den Moslems in die Schuhe schieben darf, ist die Tatsache, dass versucht wird, ein Maximum an Verunsicherung und Schrecken zu erzielen, indem völlig wahllos die größtmögliche Zahl von Menschen in den Tod gerissen werden soll. Leider gelingt das immer wieder.

Erschütternde Beispiele aus der jüngsten Zeit waren die furchtbaren Anschläge in Paris, Istanbul oder Brüssel und jeder vernünftige und human denkende Mensch wird diese Anschläge auf das Schärfste verurteilen.

Zugleich ringen wir aber um die richtigen Antworten und Vorbeugungsmaßnahmen, denn die Bekämpfung dieses Terrorismus muss weit über polizeiliche Maßnahmen hinausgehen, ohne aber einen Polizeistaat zu schaffen.

Auch im Europarat wurden neue Rechtsinstrumente entwickelt, zum Beispiel das neue Zusatzprotokoll zur Anti-Terrorismus-Konvention, welches sich mit den so genannten Foreign Terrorist Fighters beschäftigt. Vieles bleibt aber zu tun und unsere Grundwerte dürfen in diesem Zusammenhang nicht angetastet werden.

Als ich vor zwei Jahren das letzte Mal Gast des Europarates war und hier vor Ihnen stand, wurde gerade über den zeitlich befristeten Entzug des Stimmrechts von Abgeordneten der Russischen Föderation in der parlamentarischen Versammlung diskutiert.
Man war gezwungen, sich mit der Krise in bzw. rund um die Ukraine und die Krim zu beschäftigen und man hoffte, sie sobald wie möglich überwinden zu können.

Heute, zwei Jahre später, können wir leider in keiner Weise behaupten, dass dieses Problem gelöst ist. Es gibt zwar Hoffnungsschimmer aufgrund der positiven Tatsache, dass die Gespräche von Minsk Ergebnisse oder zumindest Teilergebnisse gebracht haben und das Ausmaß der Konfrontationen und die Zahl der Todesopfer eingedämmt werden konnten. Doch das Grundproblem ist noch ungelöst und die Situation nach wie vor unbefriedigend und gefährlich.

Ich hatte in der vergangenen Woche im Rahmen eines offiziellen Besuches in Moskau Gelegenheit zu einem sehr langen Gespräch mit Präsident Putin, an dem auch der russische Außenminister Lawrow teilgenommen hat.

Die Situation in der Ukraine war eines der zentralen Themen dieses Gesprächs. Mein Eindruck ist, das Russland mit der jetzigen Situation von sehr abgekühlten Beziehungen zu Europa nicht zufrieden sein kann, aber auch nicht bzw. noch nicht bereit ist, einen vernünftigen und akzeptablen Preis für eine Lösung zu zahlen.

Auf der anderen Seite kann auch die Ukraine mit der jetzigen Situation noch viel weniger zufrieden sein, ist aber ebenfalls nicht in der Lage oder nicht bereit, einen angemessenen Preis, z. B. in Form einer inhaltlich und auch in der chronologischen Abfolge präzisen Erfüllung der Minsker Vereinbarungen, einschließlich funktionsfähiger Autonomieregelungen, zu zahlen.

Alle Beteiligten wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen einer exakten Erfüllung der Minsker Vereinbarungen und dem Ende bzw. dem schrittweisen Abbau der Sanktionen gibt. Auch Österreich bekennt sich zu diesem Prinzip und hat sich in Bezug auf das Thema Sanktionen loyal zur EU verhalten.

Aus österreichischer Sicht sollte das aber ein Ansporn für noch intensivere Bemühungen zur Erfüllung der Minsker Vereinbarungen sein und ich kann nur hoffen, dass dies auf allen Seiten so gesehen wird.

Es ist und bleibt für mich eine Grundwahrheit, dass es sowohl für Europa als auch für Russland gut ist, wenn unsere Beziehungen gut sind und dass es sowohl für Europa als auch für Russland schlecht ist wenn unsere Beziehungen schlecht sind.

Um die Beziehungen zu verbessern, muss man versuchen, auch die Positionen des jeweiligen Gegenübers zu verstehen. Russland muss begreifen, was seinen Partnern in Europa Sorgen macht und diese müssen begreifen, was Russland Sorgen macht bzw. in den letzten 25 Jahren gemacht hat.

Meine persönliche Ansicht ist, dass eine Politik, die auf einen NATO-Beitritt der Ukraine in absehbarer Zeit abzielen sollte, weder für Europa, noch für die Ukraine, noch für Russland mehr Vorteile als Nachteile bringen würde.

Ein zentrales Problem Europas in der Gegenwart – vielleicht sogar das zentrale Problem – ist zweifellos die Migrations- und Flüchtlingskrise. Im vergangenen Jahr, 2015, haben mehr als eine Million Menschen als Migranten und Flüchtlinge die Außengrenzen der EU überschritten und zahlreiche Staaten Europas durchquert bzw. dort Schutz gesucht. Österreich war und ist von dieser Entwicklung besonders stark betroffen.

Dabei hat sich gezeigt, dass kein Land eine solche Krise allein bewältigen kann. Internationale Zusammenarbeit und Koordination müssen daher ganz oben auf der europäischen Agenda stehen. Nach wie vor ist ein starkes und deutliches Bekenntnis zum Asylrecht notwendig. Aber je mehr eine gesamteuropäische Asylpolitik versagt, umso mehr sehen sich einzelne Staaten oder Gruppen von Staaten gezwungen, mit Maßnahmen auf nationaler Ebene zu operieren.

Das sage ich v.a. deshalb, weil es in den vergangenen 6 oder 7 Monaten in vielen Ländern Europas einen beträchtlichen Umschwung in der öffentlichen Meinung und in der Einstellung zum Thema Flüchtlinge gegeben hat und weil m.E. vermieden werden muss, dass dieses Thema als Treib- oder Zündstoff für rechtsextreme Organisationen, für fremdenfeindliche Positionen oder nationalistische Emotionen verwendet wird.

Es ist ein Faktum, dass es schon immer fremdenfeindliche Auffassungen gegeben hat, die zur Folge haben, dass Menschen mit anderer Nationalität, Religion oder Hautfarbe oft in pauschaler Weise Misstrauen erwecken und ihnen starke Vorbehalte entgegengebracht werden.

Die Gegenposition dazu sind die Menschenrechtsdeklaration mit ihrem Verweis auf unteilbare Menschenwürde, die Vereinbarungen und vertraglichen Festlegungen in Bezug auf das Asylrecht, die Mahnungen des Papstes und anderer Kirchenführer – der Wiener Kardinal Schönborn hat kürzlich das Asylrecht als „heiliges Recht“ bezeichnet – und das wunderbare Engagement vieler Teile unserer Zivilgesellschaft.

Dieses Engagement hat sich z.B. in Österreich schon nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution oder 1968 nach der Niederschlagung des Prager Frühlings etc. in hervorragender Weise bewährt.

Dann haben jedoch 2 Faktoren begonnen, die Stimmung zu verändern: einerseits der quantitative Faktor, also die sprunghaft ansteigenden Zahlen mit allen damit verbundenen Konsequenzen, und andererseits das Gefühl einer ungleichen und ungerechten Verteilung der Lasten, die man auch mangelnde gesamteuropäische Solidarität nennen könnte.

Deutschland und Schweden, Griechenland und Italien sind selbst am besten in der Lage, ihre Situation und ihre Zahlen darzulegen. Aus österreichischer Sicht darf ich sagen, dass in einem Land mit achteinhalb Millionen Einwohnern fast 800.000 Flüchtlinge, die allein im 2. Halbjahr 2015 unkontrolliert unsere südlichen und südöstlichen Staatsgrenzen überschritten haben, auch wenn sie zu einem sehr großen Teil nach Deutschland weitergezogen sind, kein über Jahre andauernder Zustand sein können. Dafür muss ich um Verständnis bitten.

Und wenn im Jahr 2015 in Österreich 88.000 Asylanträge gestellt wurden, was etwas mehr als 1% der österreichischen Bevölkerung entspricht und außerdem bedeutet, dass die Zahl der Asylanträge in Österreich in diesem Jahr höher war als die Gesamtzahl der Geburten, dann ist das eine Entwicklung, die, wie bereits gesagt, kein Dauerzustand werden kann.

Auch ist es der Bevölkerung schwer zu erklären, wenn man weiß – und ich beziehe mich jetzt auf Daten im Bereich der EU -, dass es unter den 27 anderen EU-Staaten nicht weniger als 23 gibt, wo die Gesamtzahl der Asylanträge nicht einmal 0,5% der Bevölkerung ausgemacht hat, wobei in 13 EU-Staaten die Gesamtzahl der Asylanträge in 2015 sogar weniger als 1  ‰ betrug.

Aus dieser Situation heraus darf ich ersuchen, das Bemühen der österreichischen Bundesregierung zu verstehen, dieses Problem und seine Konsequenzen, zu denen ja auch die nachfolgende Integration, sowie alles, was mit Schule und Arbeitsplätze zusammenhängt, gehören, in geordnete Bahnen zu lenken. Zu den Maßnahmen, die diesem Ziel in Österreich dienen, gehört die Festsetzung eines Richtwerts von 37.500 Asylanträgen für da Jahr 2016. Diese Zahl entspricht immer noch einem halben Prozent der Bevölkerung und ist damit weiterhin einer der höchsten Werte in Europa. Und noch eine Anmerkung: Je besser die Kontrolle der europäischen Außengrenzen funktioniert, umso weniger Aufmerksamkeit muss man den Binnengrenzen zuwenden und umgekehrt.

Unter den Grenzübertritten nach Österreich betrachte ich die Brennergrenze aus historischen, politischen, psychologischen, wirtschaftlichen und anderen Gründen als besonders sensibel. Je größer der ungebremste Zustrom von Flüchtlingen nach Österreich sein sollte, umso mehr Aufmerksamkeit muss man auch dieser wichtigen Grenze widmen, ähnlich wie das Deutschland an der österreichisch-deutschen oder Frankreich an der italienisch-französischen Grenze im Großraum von Nizza tun.

Aber die Worte „Grenze sperren“, „Grenze dichtmachen“, „Grenze abriegeln“ etc. sind m.E. nicht angebracht und ich möchte sie nicht verwenden; hier möchte ich Klarheit schaffen. Denn Österreich kann und will sich weder von Italien noch von Deutschland abriegeln. Wir wollen wissen, wer unsere Grenzen überschreitet und wie die Integrationsprozesse bewältigt werden können, nicht jedoch wollen wir das Rad der Geschichte zurückdrehen.

Sehr geehrter Herr Präsident, eine letzte Anmerkung: Ich möchte ganz kurz sagen, dass Österreich im nächsten Jahr den Vorsitz in der OSZE innehaben wird. Wir bereiten uns gut darauf vor und werden von den Erfahrungen profitieren, die während des österreichischen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarates gemacht werden konnten.  

Lassen Sie mich daher mit kurzen persönlichen Bemerkungen abschließen. Ich habe bereits zu Beginn gesagt, dass ich in den frühen sechziger Jahren im österreichischen Parlament zu arbeiten begonnen habe. Mitte der siebziger Jahre wurde ich zum Fraktionsvorsitzenden der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion gewählt, wurde anschließend als Minister für Wissenschaft und Forschung dem Parlament einige Jahre untreu, war dann 12 Jahre lang Präsident des österreichischen Nationalrats und wurde 2004 mit 51,5% zum Bundespräsidenten gewählt. 2010 wurde ich mit 79,3% wiedergewählt.

Am kommenden Sonntag, den 24. April, wird die erste Runde zur Wahl eines neuen österreichischen Bundespräsidenten stattfinden. Ich glaube auf sicherem Boden zu stehen, wenn ich sage, es wird keiner der 6 Kandidaten (5 Kandidaten und einer Kandidatin) mehr als 50% der abgegebenen Stimmen erreichen. Am 22. Mai wird dann eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten stattfinden und am 8. Juli 2016 werde ich meine Funktion als österreichischer Bundespräsident an meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin weiter geben.

Ich denke mit großer Freude und großer Dankbarkeit an meine sehr lange Tätigkeit in der Politik zurück. In den nächsten Wochen werde ich mich von vielen Freunden, Freundinnen und Institutionen in Österreich und Europa verabschieden und freue mich, dass ich heute durch die Einladung von Frau Brasseur Gelegenheit habe, mich auch von diesem angesehenen Gremium, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, zu verabschieden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen persönlich und auch dem Europarat als Ganzes alles Gute, erfolgreiche Arbeit und eine friedliche Entwicklung.

Vielen Dank.

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Vielen Dank für Ihre klaren Worte und auch für die Themen, die Sie angesprochen haben.

Ich finde es schön, dass Sie es am Ende Ihrer Amtszeit als wichtig empfunden haben, zum Europarat zu kommen, weil es auch für uns eine Bestätigung unserer Arbeit ist.

Unser Präsident, Herr Agramunt, hat gesagt, dass ich keine lange Rede halten darf. Obwohl ich noch viel zu Ihrer fantastischen Arbeit zu sagen hätte, komme ich daher gleich zu meiner Frage:
Worin sehen Sie als „alter Hase“ in der Politik in der nächsten Zeit die Hauptaufgabe des Europarats?

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Axel E. FISCHER)

Ich glaube, die momentane Zeit ist keine Zäsur, in der sich die Aufgaben des Europarates verändern.  Vielmehr stellen sich die Aufgaben des Europarates mit größerer Dringlichkeit und angesichts noch komplizierterer Konflikte.

Für mich ist der Europarat ein Gremium, das dazu beiträgt, friedliche Entwicklungen sicherzustellen und ein Gremium, das ich als einen Hüter der parlamentarischen Demokratie und der Demokratie insgesamt betrachte. Er ist ein Gremium, das den europäischen Verfassungsprinzipien, die ja viele Gemeinsamkeiten haben, ein Schutzschirm und ein Schutzpatron sein soll. Der Europarat soll dafür sorgen, den Gedanken, dass Europa etwas Gesamthaftes ist und dass die Europäer trotz aller nationalen Unterschiede gemeinsame Werte, Anliegen und Ziele haben, fest im Bewusstsein zu verankern.

So sehe ich das und das ist ein ganz schön großes und schwieriges Programm im 21. Jahrhundert.

Andreas SCHIEDER, Österreich, SOC
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Erstens auch mein Dank für Ihre Ausführungen, insbesondere Ihre die klaren und eindeutigen Worte zum Thema Brenner.

Meine Frage bezieht sich auf die Angst und Befürchtung vieler von uns, dass gerade jetzt, wo die Errungenschaften der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit, all diese zivilisatorischen Errungenschaften insgesamt, dringend gebraucht und geprüft werden, gleichzeitig von einige gerade jetzt in Frage gestellt werden.

Daher meine Frage an Sie: Wie können wir uns auch in Zukunft ein solidarisches Vorgehen erhalten?

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Andreas SCHIEDER)

Solidarisches Verhalten ist unersetzlich, aber genügt vielleicht gar nicht. In einem großen Europa, wie es im Europarat repräsentiert ist, stoßen jetzt schon verschiedene Teile der europäischen Kultur aufeinander.

Es gibt keinen Zweifel, dass der britische Parlamentarismus etwas ganz Besonderes ist und dass die südeuropäischen Staaten ihre Eigenheiten und Besonderheiten haben, ebenso wie die skandinavischen Länder. Diese Mischung ist noch bunter und dadurch sind die Unterschiede und Differenzen größer geworden. In diesem Zusammenhang erachte ich so etwas wie eine einheitliche europäische politische Kultur als notwendig.

Man muss das tun, was in einer Verfassung steht, aber das ist noch nicht genug. Es muss auch so etwas wie einen positiven Geist der Verfassung, eine wertvolle, aus Erfahrungen herausgebildete Verfassungspraxis geben.

Nicht alles, was eine Verfassung ermöglicht, darf ausgeschöpft werden. Eine politische Kultur verlangt, dass man immer auch mit dem Kopf der anderen Seite denkt. Eine Regierungspartei muss sich immer denken: Wir könnten auch in der Opposition sein. Und eine Opposition muss sich immer denken: Wenn wir unsere Ziele erreichen, sitzen wir in der Regierung.

Mein Anliegen bzw. mein Traum wäre, die politische Kultur in Europa zu vereinheitlichen und zu verbessern und damit Dinge, die vielleicht möglich sind, aber der Demokratie schaden ins Aus zu drängen.

Rainer GOPP, Liechtenstein, ALDE / ADLE
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Auch von meiner Seite vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre kompetenten Worte!

Wie Sie sagen, hat sich auch Österreich für eine sehr restriktive Handhabung der Grenzkontrollen und somit der Flüchtlingspolitik entschieden. Für mich ist das so weit verständlich.

Andererseits ist dieses Vorgehen selbst in Österreich sehr umstritten, gerade im Hinblick auf die von Ihnen erwähnten verschärften Maßnahmen am Brenner. Sie sagen auch, dass die gesamte europäische Flüchtlingspolitik versagt hat.

Was aber muss Europa tun, um die Idee des vereinten, solidarischen Europas nicht eventuell durch diese Frage zu gefährden?

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Rainer GOPP)

Nach meiner Information war gestern Präsident Junker hier. Es wäre unverzeihlich, wenn Sie ihm nicht genau diese Frage gestellt hätten, denn genau das ist ja sein Job.

Ich weiß nicht, was er geantwortet hat. Es ist aber meines Erachtens eine Tatsache, dass das heutige Schengen-System zur Voraussetzung hat, dass auch die Außengrenzen wirksam kontrolliert werden können. Wenn das nicht möglich ist, entstehen unweigerlich Probleme.

Nun geht es in erster Linie darum, sich zu bemühen, diese Probleme zu lösen. Ich bewundere, was Deutschland im vergangenen Jahr auf diesem Gebiet getan hat. Ich habe mich auch nicht geniert darzulegen, was Österreich getan hat und versucht zu tun.

Wenn es gelingt, die Quellen der starken Flüchtlingsströme einzudämmen, wenn es mehr Verteilungsgerechtigkeit innerhalb Europas gibt und wenn es außerdem erreichbar wäre, dass das Flüchtlingsthema nicht zu stark für Populismus und Polemik und parteipolitische Zwecke ge- und missbraucht wird, wäre schon viel erreicht.

Menschlichkeit in der Handhabung der Gesetze gehört dazu und ich hoffe, dass wir das Schlimmste, die Unvorbereitetheit auf das Problem, wie sie im Jahr 2015 geherrscht hat, hinter uns haben, auch wenn wir weiterhin mit großen Flüchtlingsströme rechnen müssen.

Leyla Şahin USTA, Türkei, CE / EC
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Danke, Herr Präsident!
Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Das neue Islamgesetz in Österreich gibt neue Rechte. Das finde ich sehr deutlich. Doch gleichzeitig verbietet es islamischen Moscheen und Vereinen die Finanzierung aus dem Ausland. Sowohl jüdische und christliche Einrichtungen, als auch Einrichtungen anderer Religionen, wie der armenisch-orthodoxen oder der buddhistischen, dürfen dagegen weiterhin Auslandsfinanzierungen annehmen.

Wie passt das zum Gleichheitsgrundsatz für alle Religionen, dass nur Muslime von diesem Verbot betroffen sind?

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Leyla Şahin USTA)

Sehr geehrte Frau Kollegin!

Ich freue mich, dass Sie das Islamgesetz im Prinzip positiv beurteilen. Das war ein besonders schwieriger Akt der Gesetzgebung.

Wie viele sicher wissen, hat Österreich ja schon im Jahr 1912 als erstes europäisches Land den Islam als gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft gesehen und die entsprechenden gesetzlichen Beschlüsse gefasst. Dieses Gesetz ist jetzt mehr als 100 Jahre alt und musste novelliert werden. Dazu gab es einen breiten Diskussionsprozess.

Sie werden vielleicht wissen, dass auch innerhalb der islamischen Religionsgemeinschaft unterschiedliche Meinungen vorhanden waren. Ich bin durch die islamische Religionsgemeinschaft in Österreich in ganz unterschiedliche Richtungen gedrängt worden. Wir fanden dann einen gemeinsamen Nenner in Form dieses Gesetzes, das mit großer Mehrheit im Parlament beschlossen wurde. Auch Teile der islamischen Gemeinschaft bewerteten das Gesetz positiv.

Wir mussten bei diesem Gesetz natürlich auch alle möglichen Aspekte einschließlich der Sicherheitsaspekte umfassend berücksichtigen. Es gibt einen wirklich unabhängigen Verfassungsgerichtshof, vor dem ein Gesetz angefochten werden kann. Falls dieser eventuell einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz feststellen sollte, so wird es selbstverständlich geändert werden.

Doch es gibt viele Expertengutachten, nach denen dies sachliche Differenzierungen sind, für die es auch Begründungen gibt, und wir rechnen damit, dass der Verfassungsgerichtshof dieses Gesetz nicht aufheben wird. Insgesamt ist es ein gutes Gesetz und viele Staaten wenden sich an Wien, um es zu studieren.

Tiny KOX, Niederlande, GUE / UEL
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Dankeschön, Herr Präsident!

Es sieht so aus, als würde jetzt jeder in dieser Versammlung Deutsch sprechen, dann tue ich das auch.

Herr Bundespräsident!

Ich habe mich über Ihre offene Begegnung mit Präsident Putin und Ihr Plädoyer für eine baldige Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und den europäischen Ländern gefreut, denn dies liegt im Interesse aller Beteiligten.

Wie sehen Sie in dieser Hinsicht die Möglichkeit, die Wirtschaftssanktionen so bald wie möglich zu beenden? Sehen Sie dafür Möglichkeiten?

Dankeschön.

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Tiny KOX auf Englisch)

Gisela WURM, Österreich, SOC
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Danke, Herr Vorsitzender!
Herr Präsident Fischer!

Herzlich willkommen in der parlamentarischen Versammlung des Europarates.

Der Europarat als der Hüter der Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit hat im Laufe seiner Geschichte seine Tätigkeiten erweitert und stellt sich den großen Herausforderungen unserer jetzigen Zeit; es wurden Standards gegen Gewalt, gegen Gewalt an Frauen vorgegeben, Konventionen wurden beschlossen; Sie haben bereits die Anti-Terrorismus-Konvention erwähnt.

Meine Frage an Sie: Wie beurteilen Sie die Aufgaben des Europarates hier und heute sowie in den nächsten 60 Jahren? Worauf sollen wir Ihrer Meinung als erfahrener Politiker nach unser Hauptaugenmerk richten?

Anne BRASSEUR, Luxemburg, ADLE / ALDE
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Eingangs möchte ich der Bundesrepublik Österreich zum 60.Geburtstag der Mitgliedschaft hier im Europarat gratulieren. 

Sie haben erwähnt, dass in vier Tagen der Wahlvorgang zur Bestimmung Ihres Nachfolgers beginnt.

Am Ende Ihrer mehr als 50-jährigen Karriere möchte ich Ihnen eine sehr persönliche Frage stellen: Was ist das Wichtigste, das Sie sich in Ihrer aktiv politischen Karriere vorgenommen haben und nie verwirklichen konnten?

Vielen Dank, Herr Präsident.

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Gisela WURM, Anne BRASSEUR und Volodymyr ARIEV)

Ich danke der Abgeordneten Wurm für ihr freundliches Statement.

Es überfordert mich, Ihnen die Aufgaben des Europarates in den nächsten 60 Jahren so kurz zu fassen, dass ich Ihnen das hier guten Gewissens präsentieren kann, umso mehr, als sich ja schon die erste Frage mit gewissen Grundsatzaufgaben des Europarates befasst hat.

Ich schätze die Existenz des Europarates. Ich habe zum Herrn Generalsekretär Jagland gesagt, wenn er noch nicht erfunden wäre, müssten mir ihn heute sofort erfinden. Aber es gibt ihn schon und es sind letztlich die Abgeordneten selber, die den Weg des Europarates vorzeichnen werden.

Zur zweiten Frage: Wenn Sie mich fragen, ob ich ein Rezept habe, wie man die Krim nach dieser Annexion, die Österreich immer als gegen das internationale Recht verstoßend bezeichnet hat, wieder aus der Russischen Föderation herauslösen kann, muss ich Ihnen antworten, dass ich kein Rezept habe.
Ich weiß nicht, ob Präsident Poroschenko oder der amerikanische Präsident ein Rezept haben.  Ich wäre ein Schwindler, wenn ich sagen würde, dass ich weiß, wie man das macht und dass ihr nur das machen braucht, was ich euch vorschlage; so ist es nicht.

Es ist meine Überzeugung, dass Sanktionen kein Selbstzweck sind, weil ich für Zusammenarbeit bin und weil ich hier als Brückenbauer sowie als Vertreter eines Landes, das in vielen Himmelsrichtungen gute politische Beziehungen hat, spreche. Es steht für mich aber fest, dass man durch Verhandlungen in Bezug auf die Krim und den Prozess in Minsk Fortschritte erzielen kann.

Die Frage der Freilassung von Frau Sawtschenko kann auch Gegenstand von Verhandlungen sein. Ich würde nicht ausschließen, dass hier Prozesse möglich sind, die zu vernünftigen Resultaten führen und ich wünsche es allen Beteiligten.

Ich habe es noch nicht gesagt, aber es verdient gesagt zu werden: Auch für die Ukraine und Russland gilt der Satz, dass es für beide Seiten gut ist, wenn sich die Beziehungen verbessern und dass es für beide Seiten schlecht ist, wenn die Beziehungen schlecht bleiben oder sich noch weiter verschlechtern.

Wir leben auf diesem Kontinent und können es uns nicht aussuchen, wo unsere Länder platziert sind. Die Ukraine und Russland sind Nachbarn und die Zusammenarbeit ist das einzige Rezept.

Im Hinblick auf die Frage von Frau Brasseur: Ich wurde 1938 geboren. Als Kind habe ich die Zeit der Bombenangriffe erlebt und saß im Luftschutzkeller, wenn in einem Umkreis von 500 m Bomben einschlugen. Ich habe mich schrecklich gefürchtet, meine Mutter noch mehr.

Für mich war daher ein überragendes politisches Ziel, Krieg zu vermeiden und Frieden zu sichern. „Krieg ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die ultima irratio!“, dieser Satz stammt zwar nicht von mir, sondern von Willy Brandt, aber ich bin mit diesem Satz verheiratet.

Es ist aber nicht gelungen, dauerhaft Frieden zu schaffen und Krieg zu vermeiden. Darin liegt eine richtige Antwort auf Ihre Frage.

Das größte und wichtigste Ziel, dass ich nicht erreichen konnte und das auch ein einzelner Mensch und ein einzelnes Land nicht erreichen kann, ist es, den Unsinn und den Wahnsinn des Krieges aus der menschlichen Gesellschaft zu entfernen.

Zsolt CSENGER-ZALÁN, Ungarn, PPE/DC / EPP/CD
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Danke, Herr Vorsitzender!
Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Das Südtiroler Autonomiemodell wurde und wird seit seiner Ausarbeitung von der internationalen Gesellschaft stets als Vorbild anerkannt. Die außerordentlich erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Wien und Rom haben die Entstehung einer Struktur für das Leben einer Minderheit ermöglicht, die in ihrer Fairness, Stabilität und Effektivität beispielslos ist.

Könnte das Südtiroler Modell Ihrer Meinung nach auch für andere internationale Konflikte als Beispiel dienen und gänzlich oder teilweise übernommen werden?

Danke.

Florian KRONBICHLER, Italien, SOC
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Lieber Herr Bundespräsident!

Auch ich spreche in Ihrer Sprache, Ihrem Abschied zu Ehren und auch, weil mein Land, Italien, meine deutsche Muttersprache schützt.

Warum lassen Sie zu, dass in der Flüchtlingsfrage Ihr Land die Brennergrenze als normale Grenze behandelt, die laut manchen Ihrer Regierungsvertreter bei Bedarf auch geschlossen werden könnte? und warum nutzt Österreich das territoriale Ausnahmeexperiment einer Europaregion, Tirol, nicht für ein Ausnahmeexperiment zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage?

Danke, Herr Bundespräsident, und alles Gute.

Ria OOMEN-RUIJTEN, Niederlande, PPE/DC / EPP/CD
(Fragen an Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich)

Herr Präsident!

Sie haben über die Flüchtlingsfrage gesprochen. Sie erwähnten 1956, wo Österreich, aber auch viele andere europäische Länder, darunter auch die Niederlande, viele Flüchtlinge sehr herzlich aufnahmen. Welch ein Unterschied zu jetzt!

Sie sprachen über den Brenner – nicht abriegeln. Aber was werden Sie dort am Brenner tun? Es kommt kein Flüchtling mehr hinein. ich frage mich, ob das mit unserem Wertekatalog vereinbar ist.

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Zsolt CSENGER-ZALÁN, Florian KRONBICHLER und Ria OOMEN-RUIJTEN)

Ich bin sehr stolz auf das Südtiroler Autonomiemodell, dem etwa 40 Jahre Verhandlungen vorausgingen, bis es zustande kam. Ich werde auch im Ausland, z.B. im Kosovo und anderswo, detailliert gefragt, wie das funktioniert, wie die Verhandlungspositionen waren usw. Darauf gebe ich gerne Auskunft. Vielleicht hilft das in anderen Fällen auch, aber 1 zu 1 kann man das Südtiroler Modell nicht in den Kosovo oder die Ukraine, ins Baskenland oder nach Korsika übertragen. Da spielen die historischen, geografischen, sprachlichen und sonstigen Aspekte eine so große Rolle, dass man nur sagen kann: Probleme sind lösbar. Man muss Konzessionen machen und Kompromisse schließen. Einzelne Elemente der Südtiroler Lösung kann man sich heraussuchen, aber man kann es nicht 1 zu 1 übernehmen und in eine andere Region verpflanzen.

Der Abgeordnete Herr Kronbichler sagt: Die Brennergrenze ist doch keine normale Grenze, wie kann da Österreich dort mit Kontrollmaßnahmen vorgehen? Ich habe ja versucht, zu sagen, was die Brennergrenze ist und dass ich eine Sprache und Begriffe und Ziele, die ich in Österreich oft zu hören bekomme, ablehne. Und bis jetzt ist ja auch der Personen- und Warenstrom am Brenner nicht unterbrochen oder reduziert worden.

Aber wenn 100.000 oder 200.000 Flüchtlinge in ein Land kommen, dann kann ich nicht sagen, an der slowenischen, der ungarischen, der tschechischen Grenze darf das nicht sein, aber an einer einzigen bestimmten Grenze doch; dort gelten alle Regelungen nicht! Ich weiß nicht, ob es hier ein  Land gibt, das guten Gewissens sagen kann: Bei uns gibt es eine Grenze, bei der wir überhaupt nicht hinschauen; dort kann kommen, wer will, denn hier gelten andere Regeln als ansonsten für unseren Grenzverkehr.

Ich habe Ihnen ja auch gesagt, dass dieser Richtwert von 37.500 Asylanträgen in diesem Jahr einer der höchsten in Europa ist. In der österreichischen Bevölkerung wird jemand keine besonders positive Resonanz finden, der sagt: Bei uns sind 5000 akzeptabel, aber mehr geht nicht. Aber warum beschränkt ihr die Zahl auf 37.000, ihr müsst 100.000 hineinlassen! Sie müssen also diesen Gesamtzusammenhang sehen.

Die Brennergrenze ist eine ganz besonders wichtige Grenze. Ich bin mit dem Südtiroler Landeshauptmann in Kontakt, aber ich kann als österreichischer Bundespräsident nicht sagen: „Alle Regelungen, Vorschriften und Maßnahmen gelten an allen Grenzen, aber an einer nicht“ - mit der ganzen Sogwirkung, die dann entstehen würde.

Das ist z.T. auch die Antwort an die Kollegin aus den Niederlanden. Mir wird oft vorgeworfen, dass ich die „Willkommenskultur“ verteidige. Ich sage: Ja, auch das Willkommenheißen von Ausländern, die Zuflucht suchen, ist ein Teil der politischen Kultur. Wir müssen diesen Menschen anständig begegnen und an frühere Traditionen anknüpfen, aber es dürfen die Proportionen, wie sich die einzelnen europäischen Staaten verhalten, nicht zu sehr voneinander abweichen. Und die Vorstellung, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Syrien und Afghanistan, sollen nach Deutschland, Österreich und Schweden gehen und damit sei das Problem gelöst – so einfach ist es nicht. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich da nach zwei Seiten hin verteidigen muss: denen gegenüber, die die Grenzen am liebsten ziemlich dicht machen würden, und denen, die sagen, Zahlen spielen keine Rolle.

Heinz FISCHER, Bundespräsident der Republik Österreich
(Antwort an Ioanneta KAVVADIA und Senad ŠEPIĆ)

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

An die Kollegin aus Griechenland:  Ich bin der Meinung, dass eine einseitige Schließung der Grenze keine gute europäische Politik ist. Ich bin aber auch der Meinung, dass die europäischen Staaten angesichts der Tatsache, dass die Außengrenzen nicht funktionieren, auf gewisse Kontrollmaßnahmen nicht verzichten können, ganz nach der Devise: „Wir wollen ungefähr wissen, wer zu Tausenden oder zu Zehntausenden hereinkommt.“ Ich glaube, das habe ich vorher schon begründet und möchte es an dieser Stelle wiederholen.

Bei dem Abkommen zwischen der EU und Griechenland handelt es sich um ein Abkommen, dem alle EU-Staaten zugestimmt haben, auch Griechenland. Es soll die ungeregelte Migration etwas unter Kontrolle bringen. Ich habe im österreichischen Fernsehen gesagt, dass ich Zweifel daran habe, ob dieses Abkommen so funktionieren wird, wie es geplant ist. Diese Zweifel erneuere ich hier im Europarat, aber es ist ein einstimmiger Beschluss.

Ich weiß nicht, wie Präsident Junker hier gestern geantwortet hat, aber wir werden das sorgfältig beobachten. In Österreich wird es mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin beobachten.

An den Abgeordneten aus Bosnien:  Ich war an den letzten 20 Jahren sehr oft in Bosnien und habe das immer mit einer gewissen Grundsympathie betrachtet. Bosnien ist nicht der leichteste Boden. 

Sarajevo ist eine Stadt mit einer interessanten Geschichte und ich war sehr traurig, dass in den letzten zehn Jahren immer wieder Reformen und Verfassungsänderungen in Angriff genommen wurden, aber dann lange Zeit an den komplizierten Strukturen gescheitert sind. Man hat in Wien den Eindruck, dass sich die Situation gerade in den letzten 18 Monaten oder im letzten Jahr verbessert hat.

Mein Standpunkt und der österreichische Standpunkt ist: Die Erweiterung der Union wird immer schwieriger und die Hürden werden immer größer. Es ist aber ein Faktum, dass wir glauben, dass die Europäische Union nicht vollständig ist, wenn nicht auch die restlichen Balkanstaaten Mitglieder der Union werden können und dürfen. Sie sollen Mitglieder werden, denn dann wird dieser Raum stabiler werden und dann, so hoffe ich, werden manche Konflikte vermieden werden.

Das war offenbar meine letzte Antwort.

Ich bedanke mich noch einmal für Ihre Geduld und Ihre Fragen und wünsche Ihnen noch einmal alles Gute.