AL18CR04

AS (2018) CR 04
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2018

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(1. Teil)

BERICHT

4. Sitzung

Dienstag, 23. Januar 2018, 15.30 Uhr

Stefan SCHENNACH, Österreich SOC
(Dok. 14462, Berichterstatter in Abwesenheit von Nunzia CATALFO, Italien)

Danke schön Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wie Sie sehen können bin ich ein Mann, und nicht aus Italien.

Ich werde heute aber den Bericht unserer Kollegin Nunzia Catalfo präsentieren, da sie erkrankt ist, wie auch Sir Roger Gale und Liliane Maurice-Pasquier. Das kommt in Monaten wie dem Januar, wo die Grippe kursiert, öfters vor.

Dieser Bericht zum „Bürgergeld“ oder citzenship income wurde im Sozialausschuss lange diskutiert, da man bereits etwas Zeit benötigt hat, um das Grundkonzept zu verstehen. Dieser Ansatz ist aber nicht ganz neu, denn sowohl die katholische als auch die protestantische Kirche in Europa beobachten mit Besorgnis die wachsende Jugendarbeitslosigkeit sowie die Tatsache, dass junge 18-Jährige zu wenig verdienen, um das familiäre Nest zu verlassen. Oft können sie aufgrund ihrer prekären oder Teilzeitjobs nicht von dem leben, was sie verdienen.

Dies führt zu bedrohlichen Situationen. Bei gewissen Einkommen in den unteren Einkommenskategorien denkt man vor allem an ein Wort: Menschenwürde. Denn mit seinem Einkommen sollte man menschenwürdig leben können.

Der von Frau Catalfo ausgearbeitete Bericht löst ansatzweise die Frage des Einkommens vom Thema der Beschäftigung.

Als Generalberichterstatter der PACE für Technik und Wissenschaft kann ich Ihnen sagen, dass wir uns in eine Zeit hineinbewegen, in der die Digitalisierung uns mehr und mehr Arbeitsplätze wegnimmt. Dort, wo Arbeitsplätze verloren gehen, werden zwar neue geschaffen, aber diese werden leider nicht mit denselben Menschen wiederbesetzt. So „übernimmt“ eine IT-Spezialistin oder ein IT-Spezialist die Arbeit von teils alleinerziehenden Müttern oder Frauen mit Migrationshintergrund in einem Teilzeitjob in einem Supermarkt. In wenigen Jahren schon wird es an keiner Kasse mehr Beschäftigte geben.

In diesem Kontext tritt immer stärker die Frage in den Vordergrund, wie denn Einkommen geschaffen werden soll, wenn, wie in der Bundesrepublik Deutschland nahezu 50 % der derzeitigen Arbeitsplätze durch die Digitalisierung ersetzt werden. Wie schafft man für Menschen Einkommen? Es hat keinen Sinn grenzenlos in Freizeitstrukturen zu investieren, wenn sich die Menschen nicht an ihnen beteiligen können.

Dieser Ansatz ist wichtig für di Diskussion und daher bitte ich Sie die Resolution zu unterstützen.

Am Anfang der Debatte war ich ebenfalls skeptisch. Ihre Unterstützung ist aber notwendig, denn uns muss klar sein, dass in fünf bis sieben Jahren die Hälfte der Menschen Arbeit und die andere Hälfte keine Arbeit haben wird. Diese Entwicklung kommt und ich kann Ihnen ein Beispiel nennen. Dort, wo ich wohne gibt es eine Apotheke, in der früher 20 Personen beschäftigt waren. Anschließend wurde sie digitalisiert und heute kümmern sich Roboter um die Lagerhaltung und um die Medikamentenbestellungen bei den Pharmakonzernen. Heute arbeiten nur mehr fünf Angestellte in dieser Apotheke. Bisher galt die Pharmazieausbildung als eine sichere Ausbildung, um später einen Job zu haben. Dies ist aber nicht mehr der Fall. Daher müssen wir uns um die Perspektiven kümmern und sehen wie wir unsere Einkommensstützungssysteme ändern.

Frau Catalfo hat, obwohl sie aus einer alternativen Bewegung kommt, einen Weg beschritten, der sehr stark an die katholische Soziallehre angelehnt ist. Dies beweist, dass man ähnliche Schlüsse ziehen kann, selbst wenn man aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommt.

In unseren Gesellschaften entstehen immer mehr Lücken. Betrachtet man Italien, dem Land aus dem Nunzia Catalfo kommt, zeigt sich, dass Kinder nicht mehr nur bis 24 oder 25 Jahre zu Hause im „Hotel Mama“ bleiben sondern dass dann die Mutter aus finanziellen Gründen mit dem daheimgebliebenen Kind weiter ins „Hotel Großmama“ zieht.

Gewaltige Probleme türmen sich vor uns wie die Panama- und Bahamas-Papers. Letztlich kamen noch Papers hinzu, die uns direkt im Kernland Europas treffen. Werden keine Steuern gezahlt, gibt es keinen Ausgleich. Es existiert in unseren Gesellschaften das Übereinkommen, dass man Steuern zahlt, um eine soziale Grundlage des Austausches zu schaffen. Selbst Steuerflüchtlinge nehmen die Infrastrukturen, Bildungs-, Kultur-, Sozial- und insbesondere die Gesundheitsstrukturen eines Landes in Anspruch. Das funktioniert aber nur dann, wenn Menschen, Firmen und Konzerne Steuern zahlen. Mittlerweile haben wir in diesem Bereich eine Schieflage erreicht.

In manchen Ländern werden so genannte Existenzminima festgelegt, die oft von der Beschäftigungsfrage losgelöst sind. Bei Menschen ohne Beschäftigung aber muss die Frage des Existenzminimums aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden.

In dem Bericht wird die Frage angesprochen, wie man Mindesteinkommenssysteme verbessern kann. Frau Catalfos Ziel ist es einen Denkanstoß für Diskussionen im Rahmen des Europarats zu geben, was ihr sehr gut gelungen ist. Sie fordert auf, bürokratische Hürden, jegliche Form von Diskriminierung sowie Willkür bei der Einkommensunterstützung abzuschaffen.

Wir alle kennen nationale Mindesteinkommenssysteme bzw. sollten sie kennen. Je nach Land heißen sie anders, in meinem nennen wir sie „Mindestsicherung“ und die Frage ist, ob diese Systeme ausreichend sind. Neu ist der Gedanke, diese Mindesteinkommenssysteme von der Arbeit zu entkoppeln. In den nächsten Jahren werden wir uns noch mit dieser Idee beschäftigen müssen. Ebenfalls notwendig ist ein sozialer Dialog, denn bereits letztes Jahr habe ich gesagt, dass wir vor einem Jahrzehnt schwerer sozialer Verwerfungen aufgrund der Digitalisierung und ihres „Zwillings“, dem Robotersystem stehen. Wir müssen bereits heute überlegen, wie wir unser Morgen gestalten können, auch wenn klar ist, dass wir keine Don Quichottes sind. Diese technologische Entwicklung wird kommen und die Frage ist, wie wir als Gesetzgeber und wir hier im Europarat Lenkungen einbauen können. Möchten wir, dass in einem 2000 Quadratmeter-Supermarkt nur 3 Personen beschäftigt werden, oder bindet man eine Mindestbeschäftigungszahl an die Größe der Verkaufsfläche? Dies ist eine von vielen Möglichkeiten.

Auch im Hotelbereich hat sich gezeigt, dass innerhalb eines Jahres durch die Digitalisierung 39 % mehr Arbeitsplätze um 39% rationalisiert wurden. Dies zeigt uns welche Entwicklungen uns bevorstehen.

In diesem Sinne und in Abwesenheit von Frau Catalfo ersuche ich Sie, diesen Bericht als einen Denkanstoß und als Fortsetzung einer Diskussion zu sehen, die aufgrund der sprunghaften und von uns heute noch nicht abseh- und abschätzbaren technologischen Entwicklungen unweigerlich auf uns zukommen wird. Dies liegt im Interesse der jungen Menschen, die ein Recht haben, aus eigenem Tun ein selbständiges Leben zu führen.

Dieser Bericht ist dementsprechend gut gelungen.

Ich danke.

Stefan SCHENNACH, Österreich SOC
(Dok. 14462, Antwort des Berichterstatters in Abwesenheit von Nunzia CATALFO, Italien)

[Text auf Englisch]

Danke schön für die Debatte im Namen von Frau Catalfo. Die Debatte hat sehr positive Reaktionen von Seiten aller politischen Fraktionen und Regionen unserer gemeinsamen Familie hervorgerufen. Ich werde weder Herrn Howell noch Frau Åberg überzeugen können, sich im Sinne von Frau Catalfo der Diskussion zu stellen. Herrn Madison würde ich vorschlagen mit Herrn Ghiletchi über christliche Soziallehre zu sprechen und Herrn Stovanovic möchte ich sagen, dass es schon einen Unterschied gibt. Freien Bürgern stellt sich, sobald der Wettbewerb startet die Frage, mit welchen Handicaps manche Menschen ins Leben gehen.

Ich möchte gerne Frau Mergen von der europäischen Volkspartei und Herrn Fridez von den Sozialdemokraten als Beispiel heranziehen. Sie sind aus Luxemburg und der Schweiz und unterstützen beide diesen Bericht obwohl sie unterschiedliche Standpunkte vertreten. Ihrer Meinung nach ist dieser Bericht zeitgemäß und legt den Finger auf eine Wunde.

Danke an Herrn Gyöngyösi aus Ungarn, an Herrn Blaha aus der Slowakei, an Frau Günay aus der Türkei, an Frau D’Ambrosio aus San Marino, an Frau Bardell aus dem Vereinigten Königreich oder an Herrn Bildarratz aus Spanien. Sie alle meinen, dass man sich diesen Fragen stellen muss, da sich dieser Punkt in den nächsten Jahren zu einem brennenden Problem entwickeln wird. Laut unserer Kollegin aus Finnland wurde dort ein entsprechendes Projekt gestartet und nächstes Jahr wird sie uns darüber berichten.

Ich möchte daran erinnern, dass der von Frau Catalfo vorgelegte Bericht ein Anstoß ist, uns diesem Thema zu stellen. All jenen, die mit ein wenig harschen Worten reagiert haben möchte ich sagen: Diskussionen darf man nicht scheuen und man darf auch nicht wegsehen, wenn Entwicklungen zu sozialen Verwerfungen führen. Herr Becht aus Frankreich hat Recht, wenn er meint, dass dieses System nicht ausgereift ist. Wenn man ein Grundeinkommen hat muss man ein Gleichgewicht und entsprechende Gegenleistungen finden.

Als Ausschussvorsitzender möchte ich Ihnen sagen, dass die Berichterstatterin nicht völlig falsch gelegen haben kann, denn zu diesem Bericht gab es nur ein einziges Amendment. Dieser Bericht ist in einer über einjährigen Debatte in einem sehr großen Ausschuss zustande gekommen und mit großer Mehrheit verabschiedet worden.

In diesem Sinne, lassen Sie Frau Catalfo ihre Idee und den Sozialausschuss seine Idee weiterführen und würgen Sie diese breite, überregionale und über die Fraktionen hinausgehende Zustimmung zum Start einer Diskussion nicht ab. Geben Sie ein Zeichen der Zustimmung.

Ich danke im Namen von Frau Catalfo.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 14463)

Vielen Dank Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Es ist sehr gut, dass über die humanitären Folgen dieses Krieges gesprochen wird und dass es in diesem Bericht eine Reihe von konkreten Vorschlägen gibt.

Ich selbst habe im Osten der Ukraine Flüchtlingslager besucht, zerstörte Krankenhäuser gesehen und mich bemüht Hilfe zu leisten. Es ist gut, dass in diesem Bericht eine Reihe von konkreten Maßnahmen beiden Seiten vorgeschlagen werden, wie die Freilassung politischer Gefangenen.

In Kriegszeiten ist es meines Erachtens nach sehr wichtig, dass der Druck auf die Zivilgesellschaft nicht zu stark wird. Leider ist es aber auf beiden Seiten so, dass beispielsweise Journalisten unter Druck stehen. Ein Journalist, Ruslan Kozaba, aus der Ukraine ist hier, dem wegen seiner Haltung zu diesem Konflikt 13 Jahre Haft drohen.

Ich möchte zu diesem Bericht zwei kritische Anmerkungen machen.

Zum einen wird in diesen Bericht nicht nur über konkrete Maßnahmen gesprochen, sondern man bedient sich eines Narrativs, um zu erzählen, wie es zu diesem Konflikt kommt und wer schuld an ihm ist. Die russische Seite wird allein siebzehnmal durch Begriffe wie „illegale Annexion der Krim“ kritisiert, aber kein einziges Mal wird darauf eingegangen, dass auch die ukrainische Seite ihren Anteil daran hatte, etwa im April 2014 durch den Einsatz des Militärs im Donbass-Konflikt, die sog. Antiterror-Operation.

Ich glaube, dass eine so einseitige Darstellung des Konfliktes für humanitäre Fragen nicht hilfreich ist.

Der zweite und noch viel wichtigere Punkt ist, dass in diesem Bericht auf Minsk II, den einzig möglichen und im Augenblick denkbaren Weg zum Frieden praktisch gar nicht eingegangen wird. Mehr noch wird Minsk II in Artikel 3 durch den Positivbezug auf ein Gesetz, das Minsk II eigentlich ersetzen soll, unterminiert. Ich halte es für sehr gefährlich, dass eine solch versteckte Agenda in einem Bericht enthalten ist, der sich eigentlich mit humanitären Fragen beschäftigen sollte.

Daher mein Appel zur Annahme zweier Änderungsanträge – Änderungsantrag 2 und 3 –, die sozusagen an Minsk II festhalten wollen.

Den Berichterstatter würde ich gern noch fragen, ob er der Meinung ist, dass Minsk II nach wie vor einen Weg zum Frieden in der Ukraine darstellt.

Vielen Dank.